Einige Stationen aus meinem Leben...


Mein Geburtshaus
Kindheit - Hort für Wurzeln und Flügel.

Kindheit - leuchtender Kamin für Geborgenheit und Wärme.

Kindheit - Quell für Neugier, Träume, Lebenslust und Lachen.

War meine Kindheit all dies für mich?

JA - sie war es. Aber auch NEIN - sie war es nicht, zumindest nicht im klassischen Sinne.

Aber sie hat mich geformt, geprägt, mir ein Fundament gegeben, auf dem (s)ich mein bewegtes Leben Stein um Stein, Etage um Etage errichtete. Oft habe ich die Farben in meinem Lebenshaus geändert, aber niemals die Grundstrukturen und den großen Bauplan, die ich Frau Lindholz verdanke.

Ein wichtiger Schritt in meiner Lebens-Grundsteinlegung war der 01.09.1954 - der Tag meiner Einschulung. Ich erinnere mich noch genau. Uns Kinder verband alle die gleiche Aufregung vor dem Neuen, vor einer Gemeinschaft, die von nun an einen Großteil unser Tagesablaufes bestimmen würde. Und dennoch unterschied sich meine Aufregung grundsätzlich von denen der anderen 6-7Jährigen. Für sie war es der Wechsel von einer vertrauten familiären Gemeinschaft in eine unbekannte fremde Schulwelt. Aber für mich bot sich eine völlig neue Chance und Herausforderung - erstmals erlebte ich überhaupt das Phänomen einer Gemeinschaft. Idealerweise ist das Elternhaus der erste Garten, in dem die Pflanze, ja eigentlich der starke, unumstößliche, allen Gefahren trotzende Baum „Gemeinschaft“ gepflanzt wird oder werden sollte. Ich hatte bis zum Beginn meiner Schulzeit nur einen vagen Traum von all dem und die unerfüllte Sehnsucht danach…

Unsere kleine Dorfschule bestand aus 3 Klassenstufen - heute nur noch in nolstalgischen Erinnerungen lebendig. Eine unvergessliche Zeit, die in meinen Memoiren auf jeden Fall einen wichtigen Platz einnehmen wird. Nicht zuletzt ist sie auch Basis des sich später entwickelnden Schulsystems. Es war eine Unterrichtsepoche, die teils noch durch „Lehren und Lernen mittels Rohrstock“ geprägt war. Heute unvorstellbar, aber damals gelebte Realität. All das sollte und darf nicht vergessen werden. Auch die jetzige und kommende Generationen haben einen Anrecht auf diese, meine Lern- und Bildungserfahrungen und -erlebnisse, denn sie haben mich das werden lassen, was ich heute bin, was ich in meinem Leben erreicht habe, auf das ich stolz bin.

Der wichtigste Mensch in all diesen Jahren, der mir Orientierung, Halt, Wärme, Glauben und Vertrauen gab: meine Grundschullehrerin. Heute weiß ich, sie war der erste wirkliche Baustein meines Lebens.

In unserer ersten Klasse waren wir zu dritt: Ingrid E.  - Reiner B. und ich. Unsere Lehrerin, Frau Lindholz, hat uns feierlich aufgenommen und uns vom ersten Moment an das Gefühl vermittelt, dass wir willkommen sind und uns behütet in die Anfänge des Lernens, auf eine Reise ins Neue und Unbekannte, begeben konnten.


Die Einschulung ist für jede Familie ein großes, lange Zeit geplantes Ereignis, was feierlich begangen wird, so auch bei meiner einzigen Freundin Ingrid E. Wie auf dem Foto zu sehen ist, waren viele Familiemitglieder und Geschwister in feierlicher Kleidung anwesend.

Ganz anders bei mir: Ich war ALLEIN zur Einschulung, ohne Familie, ohne Verwandte - nur begleitet von Frau Lindemann - einer mir völlig fremden Frau. Aber genau sie war es, die mir ihre Hand reichte und mir damit die Angst vor all dem Neuen, die sich vor mir wie eine unüberwindbare Mauer aufgetürmt hatte, genommen hat.

48 Jahre später - aus Anlass eines Klassentreffens - traf ich Ingrid E. wieder. Sie gab mir ein Foto von unserer Einschulung und fragte mich, ob ich denn auch welche habe. Ich sagte ihr, dass es keine Fotos von diesem Tag gibt, aber dass ich mich daran erinnern kann, dass in meinem „Elternhaus“ Fotos von meiner verstorben Schwester mit meiner Mutter und von meinem Halbbruder mit meiner Mutter an der Wand hingen. Sie wurden bei einem Fotografen gemacht…

Ja, meine Eltern hatten keine Zeit mit mir zu meiner Einschulung zu gehen, geschweige denn, dass Fotos gemacht wurden…

Meine Lehrerin, Frau Lindholz - ein wunderbarer Mensch - war für mich die Frau, die mir das erste Mal in meinen Leben zeigte und spüren ließ, was Geborgenheit, Harmonie und Wohlfühlen bedeutet - Lebensgefühle und Werte, die ich aus meinem „Elternhaus“ nicht kannte.

Ganz eng verbunden sind meine Erinnerungen an sie mit dem Osterfest. In meiner Kindheit sind wir gemeinsam von der Schule zum Park (heute der Neue Friedhof) marschiert und haben dort Ostereier gesucht (die ihre Kinder vorher dort versteckt hatten) - bunte Bonbons und die großen, gesprenkelten Zucker-Eier, die es heute noch gibt. Immer, wenn ich diese irgendwo sehe, denke ich unweigerlich an meine Lehrerin.

Frau Lindholz - das sind auch meine Erinnerungen an diAe Fackelumzüge durchs Dorf, die Wanderungen und Klassenausflüge und all die zahlreichen Veranstaltungen, die sie auf dem Schulgelände organisiert hat - stets unterstützt durch ihre Kinder.

Dieser Frau habe ich es zu verdanken, was heute aus mir geworden ist.

Ich möchte gern, dass in Mehrow eine Gedenktafel oder eine Statue von Frau Lindholz errichtet wird, nicht nur als Andenken an die letzte Grundschullehrerin des Ortes, sondern vor allem als Hommage an einen Menschen, der mich das wirkliche Laufen gelehrt, der Güte, Harmonie und Nächstenliebe tagtäglich gelebt hat.

Diese Etappe der Bildung auf dem Lande darf nicht vergessen werden - weder als rein historisch-prägender Abschnitt für die Entwicklung des Schulsystems noch, und dies insonderheit, unter menschlichem Aspekt. Dafür werde ich mich einsetzen - das ist ein Versprechen!


Frau Lindholz